Kommunikation im Betrieb

Ein grüßendes Nicken hier, ein freundliches Lächeln da, die Kleidung wie sie sein soll, der Gang gemessen, nicht zu schnell, nicht zu langsam - die Botschaft an die Welt heißt "Alles paletti." Man wechselt ein paar Worte über das Thema des Tages, schimpft ein wenig mit, wenn das Gespräch auf den Sündenbock des Monats kommt, beteiligt sich kurz an den Spekulationen über die Pläne der Geschäftsleitung für die kommenden Jahre - und zieht sich dann unauffällig zurück in das einsame aber schützende Jetzt des eigenen Büros: endlich alleine.

Eine der Aufgaben, die ich mir in meinen Seminaren stelle, ist, die Teilnehmer wieder für echte Kommunikation zu begeistern. Echte Kommunikation ist nicht selbstverständlich. Mit wem soll/kann ich worüber sprechen? Wem darf ich gefahrlos zeigen, wie mir wirklich zumute ist? Man ist ja schließlich nicht als Mitmensch angestellt, sondern als Funktionsträger: also heißt die Devise funktionieren, und nichts anders.

Jedes Unternehmen hat seine ganz eigene Unternehmenskultur. Ich meine beobachten zu können, daß die Qualität dieser Kultur auffallend oft mit dem Produkt zusammenzuhängen scheint, das dieses Unternehmen verkauft. Versicherungen machen ihr Geschäft mit der Angst - und neigen dazu, intern ausgesprochene Angstkulturen zu entwickeln. Bei den Automarken hängt es sehr vom Stil der Modellpalette ab, ob sich eine Kultur der Eitelkeiten entwickelt, eine Macher- und Machokultur oder eine konservativ-hierarchische Hackordnung. Pharma-Firmen neigen dazu, etwas kühl zu sein, steril, und bei Sportartikelherstellern findet man dynamisches Chaos.

Auch die verschiedenen Erscheinungsformen der Nicht-Kommunikation unterscheiden sich deutlich im Stil. Gemeinsam sind ihnen allen zwei Faktoren. Zum einen geht viel kreatives Potential durch Nicht-Kommunikation verloren. Ideen werden nicht kommuniziert, etwa aus Angst, unangenehm aufzufallen, oder auch aus der bitteren Erfahrung, daß gute Ideen bisher immer irgendwo im bürokratischen Morast versickert sind. Ich höre oft den Spruch: "I wissat scho, oba mi frogt jo koana." Kritik wird nicht geübt, egal, wie angebracht sie wäre und wie konstruktiv sie geäußert würde. Nur nichts riskieren.

Die andere Folgeerscheinung ist die Einsamkeit der in kommunikationsarmen Strukturen verflochtenen Menschen. Ich weiß, das Wort Einsamkeit klingt etwas übertrieben. Ist es aber nicht. In meinen Seminaren stelle ich immer wieder die Frage, ob denn von den Anwesenden jemand innere Selbstgespräche kennt, die schwer abzustellen sind und manchmal ausgesprochen lästig, ja qualvoll werden können. Regelmäßig heben zwei Drittel der Teilnehmer die Hand. (Viele von ihnen können sie nicht einmal nachts abstellen!) Wir kennen dieses Phänomen aus alten Zoos, wo Bären in viel zu kleinen Käfigen stereotype Bewegungen vollführen, die nur noch die Funktion haben, ein unerträgliches Defizit halbwegs erträglich zu machen. Man nennt diese Verhaltensweise Hospitalismus. Ich denke, es gibt eine Art Kommunikations-Hospitalismus, der dazu führt, daß Menschen im Kopf stille Selbstgespräche führen, in fortgeschrittenen Stadien auch laut.

Eine Versicherungsgesellschaft, bei der ich mich um die Verbesserung der internen Kommunikationskultur bemühen durfte, baute in ihrem neuen Bürogebäude kleine Cafeterias in jedem Stockwerk ein (als kommunikationsfördernde Maßnahme und um die bisher obligate Kaffeemaschine in jedem Büro zu vermeiden). Dort sollten die Angestellten gelegentlich eine Pause machen können. Bewußt wurde dabei die Möblierung so unbequem gestaltet, daß man den Kaffee nur stehend an grauen Resopal-Tresen trinken konnte. Zu einem längeren Verweilen oder gar einem Gespräch über Wesentliches luden diese trüben Ecken nicht ein. Das war natürlich ganz im Sinne der Erfinder, denn, so wurde mir gesagt, nur ein Angestellter, der an seinem Schreibtisch sitzt, macht Umsatz.

Was für den Umgang der Angestellten untereinander gilt, trifft in noch stärkerem Maße auf die Kommunikation zwischen den verschiedenen Hierarchieebenen zu: Formalismus und strategische Erwägungen prägen den Stil aller Mitteilungen. Die Funktion bestimmt Form und Inhalt - und der Mensch muß schauen, wo er bleibt. Er dient der Funktion und nicht umgekehrt.

Ich muß gestehen, ich habe ein anderes Menschenbild. Arbeit hat nur wirklich einen Sinn, wenn die beteiligten Menschen in ihr auch ihre eigene Sinnhaftigkeit entwickeln können. Geld als Ersatzgratifikation befriedigt nicht. Es ist ein Irrtum, zu glauben, man könne sich dann in der Freizeit (oder im Ruhestand) mit dem verdienten Geld wieder sinnvollen Dingen zuwenden. Jahre der funktionalen Nicht-Kommunikation prägen einen Menschen stark, im schlimmsten Falle so stark, daß er den Kontakt zu seiner eigenen Sinnhaftigkeit für immer verliert. Nein. Ein Mensch, der an seinem Arbeitsplatz sinnlos funktionierend vereinsamt, verrichtet keine Arbeit, sondern Fron.

Eine Folge dieser Fron ist Streß. Es wäre ein Irrtum, zu glauben, Streß werde durch besonders hohe Arbeitsanforderungen ausgelöst. Natürlich spielt die Arbeitsbelastung eine gewisse Rolle. Aber wir haben alle die Erfahrung gemacht, daß wir extrem hohe Belastungen gut verkraften, wenn es uns nur sinnvoll erscheint. Und daß uns das Schreiben eines einfachen Briefes entsetzlich nerven kann, wenn wir dazu keine Lust haben oder keinen anderen Sinn darin erkennen können, als Pflichterfüllung.

Streß ist, so meine ich, zu 80% eine natürliche Begleiterscheinung der Sinnentleerung unserer Arbeit. Natürlich macht es Sinn, mit Dienstleistungen oder mit der Produktion nützlicher Güter Geld zu verdienen. Aber dieser Sinn ist häufig kein echter Sinn. Die Arbeit ist hier lediglich ein Mittel zum Zweck. Wenn wir davon ausgehen, daß das natürliche Barometer der Sinnhaftigkeit einer Arbeit die Freude an ihr ist, können wir eine Menge davon ablesen, mit welchen Gefühlen ein Arbeitnehmer morgens zur Arbeit geht. Eine diesbezügliche Umfrage verrät mehr über den Stand der Dinge als jede Unternehmensanalyse.

Wie können wir die verlorene Sinnhaftigkeit der Arbeit wiederherstellen? Die Antwort ist relativ simpel: miteinander sprechen. Und zwar über alles. Die Trennung zwischen beruflichem und privatem Leben ist eine künstliche. Natürlich haben wir am Arbeitsplatz jede Menge funktionale Beziehungen zu Menschen, mit denen wir nicht über alles und jedes sprechen wollen. Aber gewisse Kernbeziehungen sollten nicht fehlen: (zumindest) ein guter Draht nach oben zur nächsten Hierarchieebene, zwei oder drei freundschaftliche Kontakte in der Abteilung und eine prinzipielle und wohlwollende Offenheit zu den unteren Ebenen sind alles, was man an sozialen Verbindungen braucht, um sich am Arbeitsplatz wohlzufühlen - und um anderen das Wohlsein mit der eigenen Person zu ermöglichen.

Das hindernde Element ist unausgesprochene Angst. Angst ist, besonders in Zeiten des Wandels, die natürlichste Sache der Welt. Lähmend (und blutdrucksteigernd) wird sie erst dann, wenn man niemanden hat, mit dem man über sie sprechen kann. Besonders Manager in gehobenen Positionen neigen dazu, ihre Ängste zu verdrängen und sich mit der unangreifbaren Aura des stets souveränen und kompetenten Funktionsträgers zu umgeben. Manager haben Vorbehalte, Bedenken oder Einwände, gewiß, aber niemals Angst ("Ich bitte Sie!"). Erst wenn man sich etwas näher kennengelernt und Vertrauen gefaßt hat, kommt das Gespräch auf die (ganz natürlichen) Ängste. Aber wen lernt man als Manager in einer gehobenen Position schon "näher" kennen?

In meinen Seminaren lerne ich jede Menge Mitarbeiter näher kennen. Dabei stellt sich heraus, daß in allen Betrieben eine Fülle von Kompetenz und Wissen ungenutzt brach liegt, während gleichzeitig für teures Geld externe Unternehmensberatungen mit der Aufgabe betraut wird, den "Karren aus dem Dreck zu ziehen". Die Hinzuziehung externer Unternehmensberater wird von der Belegschaft immer als Mißtrauensvotum der Geschäftsleitung an sie verstanden. Zurecht. Denn wer könnte besser wissen, was dem Unternehmen weiterhelfen kann, als diejenigen, die es aus eigener und jahrelanger Erfahrung in- und auswendig kennen?

Verrostete Kommunikation führt dazu, daß dieses betriebsinterne Wissen nicht wirksam werden kann. Geführt wird von oben. Das Wissen aber ist mitten drin, und ganz besonders "unten", an den Schnittstellen zu den Lieferanten, zum Material, zum Kunden. Das "betriebliche Vorschlagswesen", das manche Firmen eingeführt haben ist ein formalisierter Kommunikationsersatz, der die Aufgabe, Know-How wirksam zu transportieren, nicht erfüllen kann. Ich plädiere für das Gespräch, für eine Politik der offenen Tür: Es macht einfach einen Unterschied, ob ich einen weiteren Zettel auf dem Schreibtisch liegen habe, oder ob da ein Mensch sitzt, der mir von seiner Idee erzählt.

Kommunikation hat natürlich auch ihre Tücken: Man muß lernen, wie sie funktioniert. Kennt man die Fallstricke nicht, so kann man sich in ihnen verfangen - und wäre dann mit einem einfachen Zettel tatsächlich besser dran, als mit einem wohlgemeinten, aber mißlungenen, Gespräch. Mißlungene Kommunikation neigt dazu, mehr Schaden anzurichten, als Nutzen zu stiften. Aber deswegen, also sicherheitshalber, ganz auf Kommunikation zu verzichten, ist mit Sicherheit der falsche Weg. Dabei ist es gar nicht so schwer. In Seminaren sehe ich immer wieder, wie sich die Ängste (in Fettnäpfchen zu treten, sich eine Blöße zu geben, jemanden zu verletzen) nach und nach lösen - und wie Kommunikation, auch zwischen verschiedenen Hierarchieebenen, ganz einfach wird. Aber es scheint sich noch nicht so recht herumgesprochen zu haben, daß das möglich ist.

Meine Botschaft ist einfach: Echte Kommunikation ist möglich. Und sie lohnt sich. Wer ihr im Betrieb eine Chance gibt, schafft eine Kultur des Vertrauens - und wird dadurch gerade in Zeiten unsicherer Konjunktur immer eine Nasenlänge voraus sein.